Ich laufe durch Felder voll Frieden und Harmonie. Die aufgehende Sonne küsst langsam die von Reif bedeckten Pflanzen wach. Die ersten Sonnenstrahlen bringen Vögel zum Zwitschern, welche lieblich singend davonflattern. Hase und Fuchs erwachen und bereiten sich auf das, täglich gleiche, Spiel vor. Jäger und Gejagte, das einfachste Prinzip der Natur, seit Jahrhunderten praktisch unverändert.
Mit diesem Bild vor Augen wandere Ich weiter, der noch feuchten Wiese entlang, auf die kleine Lichtung. Die kleine, schon fast lichtdurchflutete Lichtung, inmitten noch im Schatten liegender Bäume. So voller Leben schon so früh am Morgen. Ein Anblick wie Gott ihn hatte, als er die Welt erschuf. Voller Unschuld, Sorglosigkeit und Freude, das sind Augenblicke die zum Verweilen und Nachdenken einladen.
Ein kleines Rehkitz kommt auf die Lichtung, frisst, erblickt Mich. Für Augenblicke bildet sich Mein Geist ein, ein Lächeln auf der Kleinen Schnauze zu erkennen. Es wendet sich schnell um, vermutlich zur Mutter oder Tante und verschwindet zwischen den dichten, schattigen Bäumen.
Ich mache keine zwei Schritte, da beklagt sich ein Adler, weit über Meinem Kopf, weil ich einige Mäuse erschreckt habe, welche sich nun im feuchten Erdboden verstecken. Das Frühstück wird also verschoben.
Hinter Mir ist plötzlich ein Geräusch, Ich drehe mich langsam um und erschrecke mit einem ganz leisen, kleinen Laut. Ein Fuchs streift vor Mir durchs saftige, hellgrüne Gras, klein und mit schimmerndem rotbraunem Fell bewegt er sich sehr geschwind geschickt. Ein kurzer Blick zu Mir, unsere Augen treffen sich, dann geht er weiter seines Weges, unbeirrt ob der neuen – aber menschlichen- Bekanntschaft. Die nächste Maus wird sich nicht so sehr über den Anblick freuen wie Ich.
Ein Rascheln reißt Mich aus Meinen Gedanken. Ich blicke Mich um, um die Ursache des Geräusches zu ergründen und erblicke eine kleine Schlange, von solch einem Grün, dass sie im Gras fast nicht zu erkennen ist, die sich zwischen meinen Füßen hindurchschlängelt. Sie zischt leise und verschwindet im kniehohen Gras, welches sich langsam im Rhythmus des Windes bewegt. Ich gehe weiter die Lichtung entlang. Die Sonne ist nun schon so weit aufgegangen, dass sie die Bäume um Mich nun fast erleuchtet.
Ich laufe der Sonne entgegen und halte Meine linke Hand vor Mein Gesicht, damit die Sonne aufhört Mich zu blenden. Den neugierigen Hasen, welcher schon seit einiger Zeit, mit etwas Abstand, neben mir her hoppelt, scheinen die goldenen Sonnenstrahlen nicht zu stören. Sein weißes, fast blütenreines Fell schimmert schön in der Sonne. Er ist so unschuldig und klein, der weiße Hase. Als Ich Mich zu ihm umdrehe, erschrickt er und sucht das Weite. Ich unterdrücke die Lust, ihm nachzuwinken und stattdessen lächele Ich leicht.
Ein leichter Wind kommt auf und die kühle Luft streichelt sanft um Meinen Körper. Die Grashalme wanken etwas stärker im Wind, wallendes Grün wohin man auch sieht. Die Sonne ist nun weiter aufgegangen und hat die umliegende Dunkelheit, und den Zauber des Morgens, nun endgültig weggewischt. Sie steht weit oben am Himmel. Ich blicke hinauf und frage Mich, wie sich Ikarus, als er am höchsten Punkt seines Fluges war, gefühlt haben musste. Das Gefühl alles erreichen zu können, bevor man abstürzt, jedoch nicht weiß, dass man tief fallen wird.
Es ist fast Mittag, das Leben hat nun nahezu seinen Höhepunkt erreicht. Vögeln zwitschern, Hasen hoppeln, Schlangen schlängeln und Füchse trollen sich. Das Leben nimmt seinen Lauf, unbeeindruckt ob der Anwesenheit eines Menschen. Als ob Ich Mich nicht mitten unter ihnen, auf der Lichtung befinden, sondern gar nicht da wäre. Kein Schatten, nicht mal ein Schatten Meiner selbst. Sondern einfach nicht da, ohne Existenzberechtigung, ohne Möglichkeit seine Meinung oder überhaupt irgendein Gefühl kundzugeben. Inmitten solch überwältigender Schönheit eine Person, ein Mensch, Teil der Evolution, Teil der Schöpfung oder doch nur ein unbedeutender Gast in einem ständig, bis zum Übermaß frequentierten, Hotel.
Ein leichtes Schnaufen holt Mich zurück in das Hier und Jetzt. Ich öffne die Augen und Blicke geradeaus. Ein brauner Wolf mit weißem Bauchfell sitzt vor Mir und schaut Mich an, blickt Mir direkt in die Augen. Nicht recht wissend, was mit Mir anzufangen ist, richtet er sich langsam auf und bewegt sich ohne Hast, leise und geschickt auf Mich zu. Jäger und Gejagte. Ein beklemmendes Gefühl. Die Rollen verteilt der Regisseur, nicht der Statist. Der Wolf ist nun fast bei Mir angelangt. Angesichts der verstörenden Schönheit des Augenblicks, wage Ich es nicht, auch nur eine Bewegung zu vollziehen. Der Braune Wolf ist nun ganz nah, Ich spüre seinen heißen Atem auf Meiner Hand, welche nun ganz nah an seiner, mit messerscharfen Zähnen gespickten Schnauze, ist. Das majestätische Tier schnuppert an Mir, prüft und begutachtet Mich. Plötzlich öffnet er leicht seine Schnauze, seine Zunge kommt raus und er leckt leicht über meine Hand. Ich nehme Meine Hand ganz leicht nach oben und beginne damit, den Wolf zu streicheln. Es gefällt ihm sichtlich. Nach einigen Minuten windet sich der Wolf geschickt aus Meinen Händen, sieht Mich zum Abschied mit großen, traurigen Augen an und verschwindet langsam in Richtung des Waldes, in Richtung der dichten Bäume und somit aus meinem Blickfeld. Ich folge ihm nicht, seine Ruhe sei ihm gegönnt.
Plötzlich durchbricht ein lauter Knall die Realität, den Traum. Die vorher so ruhigen Tiere fliehen aufgeschreckt in alle Himmelsrichtungen. „Mach endlich weiter und träum nicht vor dich hin. Steh nicht so blöd rum!“, tönt es aus dem Kopfhörer, der mit Meinem Funkgerät verbunden ist. Mein Vorgesetzter treibt Mich an, weiter zu arbeiten. Ich mache wie Mir befohlen wird und setze die Motorsäge, die schwer in Meinen Händen surrt, an den nächsten Baum. Ein anderer dieser mächtigen, grünen Giganten, geht mit einem lauten Knall, einige Meter neben Mir, zu Boden. Jahrzehnte des Wachstums in Sekunden zerstört. Ich mache mich wieder an die Arbeit.